Albert, Marie-Theres; Ringbeck, Birgitta: 40 Jahre Welterbekonvention. Zur Popularisierung eines Schutzkonzeptes für Kultur- und Naturgüter. (Heritage Studies, Vol. 2). Berlin: de Gruyter, 2015. 326 Seiten. ISBN 978-3-11-031237-9. Preis: 39,95 Euro, Bezug: Buchhandel
Buchbesprechung von Prof. Dr. Renate Nestvogel
In diesem 2. Band der Reihe Heritage Studies führen die Autorinnen in die vielfältigen Facetten des Welterbes seit seiner Entstehung und der Verabschiedung der Welterbekonvention 1972 ein. Zunächst konstatieren sie, dass die derzeit 1031 in die Welterbeliste eingetragenen Kultur- und Naturgüter ein eklatantes regionales Ungleichgewicht aufweisen: Mehr als die Hälfte der Welterbestätten befinden sich in Europa und Nordamerika, das heißt, auf nur 28% der gesamten Landfläche der Erde und in der Hand von nur 16% der Weltbevölkerung. Damit dominieren nicht nur die europäischen Vorstellungen von Kultur und kulturellen Gütern das Erbe der Menschheit. Die eingeschriebenen europäischen Denkmäler des Christentums, die barocken Schlösser oder die mittelalterlichen Stadtensembles lassen auch einen bildungsbürgerlich materiellen Kulturbegriff erkennen.
Des Weiteren thematisieren die Autorinnen das Spannungsfeld zwischen Schutz und Kommerzialisierung, sowie das zwischen positiv und negativ besetzten Leitbildern. Mittels einiger markanter Beispiele umreißen sie im 2. Kap. exemplarisch die Bandbreite von Welterbe (historische Gebäude, archäologische Funde, symbolische Stätten, Naturerbe, Kulturlandschaft), gehen anschließend anhand der Konventionstexte differenziert auf die einzelnen Typen und Merkmale ein und schließen mit Beispielen aus der Liste des „Welterbes in Gefahr“.
Im 3. Kap. zeichnen sie chronologisch, ausgehend von den Kriegs- und Zerstörungserfahrungen des 2. Weltkriegs, die Entstehung und Weiterentwicklung verschiedener Konventionen und Chartas zum Schutz von kulturellen Gütern nach, die 1972 zur Verabschiedung der Welterbe-Konvention geführt hat. Deren Implementierung analysieren sie kritisch in Anlehnung an Ausführungen des Gründungsdirektors des Welterbezentrums, von Droste, in vier Phasen (1978-91, 1992-99, 2000-05, ab 2006). Die 1. Phase verzeichnet zahlreiche Einschreibungen, wobei Kultur- und Naturerbe noch strikt voneinander getrennt, das Procedere zur Streichung von Welterbestätten eingeführt und eine regionale Ausgewogenheit angestrebt wurde. Diese konnte allerdings bis heute nicht erreicht werden. Als Innovation wurde in der 2. Phase der Typ der Kulturlandschaft aufgenommen, der, anders als die für sich selbst sprechenden materialisierten Denkmäler, auch immaterielle Bedeutungen und Funktionen und damit ein anderes Verständnis von Erbe enthielt.
Als negativ merken die Verfasserinnen die zunehmende kommerzielle Nutzung der Welterbestätten in dieser Phase an. Eine 1994 verabschiedete Globale Strategie sollte eine geographisch und kulturell ausgewogene Welterbeliste wiederherstellen. Sie diente dazu in der 3. Phase eine eingehende Auseinandersetzung mit bisherigen Fehlentwicklungen zu initiieren, wobei sich ein Trend abzeichnete, die Welterbe-Vorstellungen aus Entwicklungsländern stärker zu berücksichtigen. Damit zeichnete sich eine Entwicklung ab, die nunmehr auch immaterielle Formen von Erbe wie traditionelles Wissen, Kunst, Rituale, Gebräuche in die materiellen Stätten einbezog. In der 4. Phase führte dies zu einer stärkeren Berücksichtigung der Mitbestimmung lokaler communities und damit auch von sogenannten Nicht-Experten.
Im 4. Kap. setzen sich die Verfasserinnen mit dem vielschichtigen Begriff des Erbes/Heritage auseinander. Sie führen aus, dass dieser Begriff neben der Weitergabe von Objekten vorwiegend im Sinne von Werten, die an nachfolgende Generationen weitergegeben werden und bewusstseins- sowie identitätsbildend sind, verwendet wird. Letzteres wird, wie die Autorinnen schreiben, zwar in der Konvention, nicht aber in deren Umsetzung ausreichend berücksichtigt. Das bezeugen die zahlreichen europäischen Schlösser (18% aller eingetragenen Monumente) auf der Welterbeliste. Deren einzigartige Architektur wird im Diskurs von UNESCO-Experten hervorgehoben, ohne dagegen den Größenwahn der feudalen Rivalitäten und konkurrierenden Machtkonstellationen zu berücksichtigen, der diesem materiellen Erbe zugrunde liegt. Als ebenso ethnozentrisch werden auch Meisterwerke europäischer Ingenieure im Industriezeitalter eingestuft, da auch sie losgelöst von ihrem historischen Kontext (z.B. Kolonialismus) gewürdigt werden. Gegenpositionen zu diesen materiellen Diskursen, die seitens der UNESCO als legitim und deshalb im Selbstverständnis als „autorisiert“ gewertet werden, stehen sogenannte „nicht-autorisierte“ Diskurse, die sich aus sozialwissenschaftlichen (kritischen, postkolonialen) Theorien heraus entwickelt haben und die Erbe prozessual begreifen. In diesen Diskursen wird Welterbe als ein in historische, sozio-ökonomische Kontexte eingebettetes und dynamisch sich entwickelndes Phänomen und eben kein nur statisch und materielles Objekt verstanden. Dies sollte, so die Autorinnen, Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Expertenkomitees zur Evaluierung von Anträgen und deren Exklusivrechte auf richtige oder falsche Deutungen von Erbe haben. Denn oft verträten diese nur eine elitäre Minderheit.
Anschließend stellen die Verf. einen über die beiden skizzierten Positionen hinausgehenden Ansatz vor, den sie Heritage Studies-Diskurs nennen. Dieser Diskurs bezieht die Auswirkungen von Globalisierung, Klimawandel, Tourismus, Migration, technologischen Wandel, Heritage Communities, Partizipation und Nachhaltigkeit sowohl paradigmatisch als auch disziplinär wie interdisziplinär in ein umfassendes Verständnis von Erbe im Interesse menschlicher Entwicklung ein. Die damit einhergehenden Herausforderungen wie auch die Widersprüche gälte es ganzheitlich, theoretisch und methodisch herauszuarbeiten.
Das 5. Kap. fokussiert auf die Auswirkungen der Popularisierung des Welterbes, die sich vor allem in der Transformation von einem schützenswerten Gut zu einer Ware ausdrückt – analog zum gesamten Kunst- und Kultursektor. Die Verfasserinnen fragen nach dem Verhältnis von Schutz und Nutzung einer Stätte und legen dabei die politischen Strategien des Welterbekomitees offen. Sie zeigen Trends bei Nominierungen auf, die Einschreibungen von Stätten unabhängig von den Voten der Beratergutachten nationale (kultur-) politische und wirtschaftliche Verwertungsinteressen fördern und damit gegen den Geist der Welterbekonvention verstoßen. Auch wenn bislang nicht erforscht ist, ob das Welterbe-Label höhere Besucherzahlen generiert als dies ohne Label der Fall wäre, ist zu konstatieren, dass ökonomische und touristische Verwertungsinteressen dominieren – trotz propagierter Nachhaltigkeitskonzepte.
Im 6. Kap. widmen sich die Verf. dem immateriellen Erbe, das 2003 durch eine entsprechende Konvention gewürdigt und 2006 (in Deutschland erst 2013) ratifiziert wurde. Sie zeichnen die Vorgeschichte dieser Entwicklung nach. Immaterielles Erbe wurde in den 1980er Jahren v.a. mit Folklore und traditionellem Volksbrauchtum assoziiert, in den 1990ern mit gefährdeten Sprachen, später auch mit immateriellen Aspekten in Kulturlandschaften. Diese mündeten schließlich in der Konvention zum Immateriellen Erbe, die nunmehr die Lebendigkeit und Gegenwärtigkeit des Kulturerbes und damit das Gegenteil einer Musealisierung hervorhebt. In nur 6 Jahren wurden (bis 2013) 327 Ausdruckformen gelistet, davon besonders viele in solchen Ländern, die bislang auf der Welterbeliste unterrepräsentiert waren.
Im Ausblick verdeutlichen die Verfasserinnen noch einmal den Erfolg der Welterbekonvention aber auch deren Ambivalenz, die sich in der Funktionalisierung für sehr unterschiedliche Interessen zeigt. Sie gehen auf die Potentiale ein, die Welterbe für eine nachhaltige menschliche Entwicklung im weitesten Sinne, für Identitätsbildung und Friedensstiftung bereithält. Hierzu wird u.a. eindringlich die Partizipation der lokalen Bevölkerung eingefordert. Der Ausblick schließt mit vielen offenen Fragen sowie mit Gedanken, die nach sicher nicht einfachen Lösungen suchen. Man muss nur vergegenwärtigen, in welcher Weise Welterbe gerade in letzter Zeit vor den Augen der Weltöffentlichkeit zerstört worden ist und wie viel kulturelle Vielfalt im Zuge von Globalisierung, Kommerzialisierung und Technisierung entwertet und entstellt wird. Den Verfasserinnen . gelingt mit ihrer sehr lebendigen und eindringlichen Auseinandersetzung mit der Weltkulturerbe-Thematik – auch die zahlreichen Fotos verschiedener Weltkulturerbe-Beispiele tragen zu einem anregenden Wissenserwerb bei –, die Leser/innen in einen Prozess des Nachdenkens mit einzubeziehen – ganz im Sinne einer vielfach geforderten Partizipation und einer gemeinsamen Verantwortung für den Schutz des kulturellen Reichtums menschlichen Lebens.
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