Albert, Marie-Theres; Ringbeck, Birgitta: 40 Jahre Welterbekonvention. Zur Popularisierung eines Schutzkonzeptes für Kultur- und Naturgüter. (Heritage Studies, Vol. 2). Berlin: de Gruyter, 2015. 326 Seiten. ISBN 978-3-11-031237-9. Preis: 39,95 Euro, Bezug: Buchhandel
Buchbesprechung von Prof. Dr. Klaus Hüfner
Das Übereinkommen zum Schutze des Kultur-und Naturerbes (Welterbekonvention) wurde von der Generalkonferenz der UNESCO im November 1972 verabschiedet, trat aber erst 1975 in Kraft. Das Übereinkommen, bis heute von 191 Staaten ratifiziert, gehört ohne Zweifel zu den erfolgreichsten völkerrechtlichen Dokumenten; es genießt nicht nur in Deutschland, sondern weltweit eine enorme Popularität. Die UNESCO kann stolz auf diese Konvention sein, denn damit wurde ein herausragendes Instrument geschaffen, um das Kultur- und Naturerbe der Völker der Welt zu würdigen und zu schützen. Wer den Namen UNESCO hört, denkt zunächst an das UNESCO-Weltkultur- und Naturerbe. Gegenwärtig stehen die Namen von 1007 Stätten auf der Welterbeliste, davon 39 in Deutschland.
Die beiden Autorinnen haben sich seit sehr vielen Jahren durch eine Vielzahl von Publikationen nicht nur in Deutschland, sondern auch im Rahmen ihrer UNESCO-Arbeit einen Namen gemacht. In diesem Band konnten sie auf ihre zahlreichen Fachartikel zurückgreifen und ihre theoretischen Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen bündeln, bilanzieren und weiterentwickeln.
Der Band besteht aus sieben Kapiteln. Im einleitenden Kapitel 1 wird zunächst der Erhalt von Erbe als „ein eminent politischer, partizipativer und interdisziplinärer Akt“ postuliert (S. 3). Daraus folgt, dass es sowohl bei der Nominierung als auch bei den Maßnahmen zum Erhalt von Kultur- und Naturstätten notwendig ist, dass sich möglichst „alle lokal, national oder international betroffene Personengruppen … wiederfinden“ (S. 3). Diese Forderung nach einer kritisch-konstruktiven Partizipation zieht sich wie ein roter Faden durch die einzelnen Kapitel. Eine weitere kritische Anmerkung, die in den folgenden Kapiteln vertieft wird, bezieht sich auf das eurozentrische Übergewicht. Die Autorinnen sprechen von einem „eklatanten Missverhältnis“ zwischen den Zielen und der Umsetzung der Konvention, wenn man die Zahl der eingeschriebenen Stätten in Europa und den USA einerseits und dem Rest der Welt andererseits betrachtet (S. 5-10).
Kapitel 2 konzentriert sich auf die Frage „Was ist ein Welterbe?“. Hier werden höchst unterschiedliche Welterbestätten aufgeführt und die Kriterien zur Begründung (in englischer Sprache) zitiert. In diesem Kapitel wird damit begonnen, Farbfotos zur besseren Veranschaulichung einzublenden – ein höchst ansprechender Vorgang bei der Lektüre des Textes. Abschließend gehen die Autorinnen auf das entscheidende Anliegen der Pflege und Erhaltung der Welterbestätten ein und verweisen auf die „Liste des Welterbes in Gefahr“, auch „Rote Liste“ genannt, die sich Köln und Potsdam als ein erfolgreiches Instrumentarium zur Schadensverhütung erweisen sollte (S. 42-46).
In Kapitel 3 wird näher auf die zeitliche Entwicklung der Welterbekonvention und die damit verbundenen perspektivischen Änderungen eingegangen, wobei zwischen vier Phasen unterschieden wird, die weg von einer zunächst streng konservativen Interpretation hin zu einer Popularisierung von Welterbe führten. Bereits in der ersten Phase (1978-1991) wird bei den Einschreibungen das Ungleichgewicht zwischen „Europa und dem Rest der Welt“ (S. 63) erkennbar, das trotz des Anstiegs der Gesamtzahl an Einschreibungen auch in den folgenden drei Phasen bis 2013 jeweils um rund 50 Prozent pendelte. 1994 wurde dann von der UNESCO endlich eine Globale Strategie verabschiedet, um die geografischen und kulturellen Ungleichgewichte abzubauen. Dabei ging es um die Frage, „wie man die in der Konvention festgeschriebene Vision von kultureller Vielfalt als interkulturelle, religiöse, authentische oder soziale Vielfalt in ein Gesamtbild von Erbe integrieren könnte“ (S. 87). Aber das Ungleichgewicht sollte sich fortsetzen, wobei als ein entscheidender Grund der Mangel an finanziellen und personellen Ressourcen angeführt wird, um sich am Nominierungsprozess erfolgreich beteiligen zu können (S. 97).
Mit dem Kapitel 4 („Diskurse im Kontext des Welterbes“) erfolgt der Brückenschlag von der Bestandsaufnahme der bisherigen Entwicklung materieller Diskurse zu Diskursen, in denen der Erbe-Begriff im Sinne des englischen „heritage“ im Mittelunkt steht. Hinterfragt werden soll zum Beispiel, warum und unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen die schönen Schlösser entstanden sind. Postuliert wird, dass die gesellschaftliche Verantwortung darin besteht, „Erbe im Sinne der Potenziale für eine friedliche und nachhaltige menschliche Entwicklung“ auszugestalten (S. 100). Kritisiert und auch erklärt wird daher das Ungleichgewicht in der Welterbe-Liste durch die Dominanz europäischer Experten in den Führungsgremien von ICOMOS und IUCN mit jeweils 50 Prozent, deren Vertreter nicht nur Anträge evaluieren, sondern auch oftmals Antragsteller privat beraten: „Allein eine solche Doppelfunktion konterkariert sachliche und fachliche Unabhängigkeit und führt die immer wieder betonte Objektivität bei der Einschreibung von Stätten in die Liste des Welterbes ad absurdum“ (S. 115).
Vor dem Hintergrund der Globalisierungsprozesse, des Klimawandels, der überregionalen Migrationsprozesse und auch der weltweiten demografischen Entwicklungen fordern die Autorinnen ganzheitliche, interdisziplinäre Theorie-Ansätze, mit deren Hilfe eine Verbindung zum Schutz und zur Nutzung von Erbe im Interesse von menschlicher und nachhaltiger Entwicklung hergestellt wird.
Im Kapitel 5 („Auswirkungen der Popularisierung“) wird untersucht, welchen gesellschaftlichen Einflüssen das Welterbe-Übereinkommen gegenwärtig ausgesetzt ist, welchen Einfluss die zunehmende Politisierung in der Entscheidungsfindung des Welterbe-Komitees hat und wie sich der Tourismus auf den Erhalt von Welterbestätten auswirkt. Die Bilanz ist eher negativ. Im Welterbe-Komitee werden die Gutachten der Berater-Gremien zunehmend ignoriert; nationale Interessen überwiegen. Die „Rote Liste“ mit ihren gegenwärtig 46 Eintragungen erweist sich als ein stumpfes Schwert, weil der europäische Raum deutlich unterrepräsentiert ist, und keine endgültigen Entscheidungen gefällt werden, die zu einer Streichung von der Welterbe-Liste führen. Der zunehmende (Fern-)Tourismus tendiert zum Massentourismus und wird hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt ökonomischer Vorteile betrachtet.
Im Kapitel 6 („Welterbe versus immaterielles Erbe“) wird mit den oben genannten Kritikpunkten begründet, warum die UNESCO in den letzten Jahren neue Programme und Übereinkommen entwickelt hat. Im Mittelpunkt steht das Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes, das im Jahre 2003 verabschiedet wurde. Dargestellt werden die Vorgeschichte sowie Ziele und Inhalte des Übereinkommens. Dabei wird auf „die umfassende Einbeziehung der Träger des immateriellen Kulturerbes bei der Umsetzung der Konvention, bei der Identifizierung von immateriellem Kulturerbe und bei der Durchführung aller Bewahrungs- und Förderungsmaßnahmen“ (S. 174) hingewiesen, auf die sich die Vertragsstaaten verpflichtet haben.
Im letzten Kapitel 7 („Ausblicke“) befassen sich die Autorinnen „mit den Potenzialen, die Welterbe für eine nachhaltige menschliche Entwicklung im weitesten Sinne bereithält“ (S. 183). Das Konzept der Nachhaltigkeit wird in engstem Zusammenhang mit menschlicher Entwicklung definiert und geht über die ökologische Dimension weit hinaus. Postuliert wird die Umsetzung in den Institutionen und Strukturen der Zivilgesellschaft. Die Autorinnen kritisieren den gegenwärtigen Mangel an Umsetzungsstrategien und anwendungsorientierter Forschung und schlagen unter anderem Cultural Studies als einen vielversprechenden Ansatz vor (S. 185).
Ergänzt wird der Band durch eine Reihe von Anlagen, die ein Glossar, die Texte ausgewählter Übereinkommen, ein Literaturverzeichnis und einen Index umfassen.
Der Band eignet sich hervorragend als Sach- und Diskussionsbuch über die bisherige Entwicklung der Welterbe-Konvention mit ihren Stärken und Schwächen und die daraus abzuleitenden Konsequenzen für die Zukunft. Nur vor dem Hintergrund der offensichtlichen Schwächen, wie unter anderem eurozentrische Dominanz auf vielen Ebenen, mangelnde Partizipation „von unten nach oben“, zunehmende Politisierung mit der Tendenz, nationale Interessen durchzusetzen, einseitige Sichtweise und Konzentration auf das Materielle ohne gesellschaftliche Bezüge, gelang es den Autorinnen, über die Brücke zum Immateriellen erste konzeptionelle Ideen zu entwickeln, um den Stellenwert von Welterbe in einer sich neu definierenden Weltgesellschaft zu bestimmen.
Es bleibt dabei: Das UNESCO-Welterbe gehört uns allen auf dieser Welt; aber es ist nicht nur Eigentum, sondern auch Verpflichtung im Sinne von Erbe für eine bessere, friedliche Welt unserer und zukünftiger Generationen.
Klaus Hüfner
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